Das Seminar für Volkskunde/Kulturgeschichte der Friedrich-Schiller-Universität Jena
Volkskundliche Kulturwissenschaft zielt darauf, Menschen in ihrem Miteinander zu verstehen und ihr Zusammenleben in der historischen Gewordenheit zu erkennen. In dieser Absicht wurde 1997/98 an der FSU Jena der gleichnamige Studiengang eingerichtet, der Wissen über kulturelle Vielfalt, Differenz und Identität durch praxisnahes forschendes Lernen vermitteln möchte. In Forschung und Lehre widmet sich das Jenaer Seminar den globalen Dimensionen von Kultur und ist dabei in den Regionen Mitteldeutschlands geerdet.
Geschichte und Gegenwart – Porträt der Jenaer Volkskunde
Die Kombination der beiden Säulen Volkskunde und Kulturgeschichte im Jenaer Studiengang stellt ein besonderes Markenzeichen innerhalb der kulturanthropologischen und kulturwissenschaftlichen Studiengänge im deutschsprachigen Raum dar. Sie folgt dem Wesen von Kultur, die nur als etwas historisch Gewordenes und gegenwärtig Relevantes angemessen verstanden und erkannt werden kann. In der ehemaligen DDR war eine akademische Ausbildung in Volkskunde nur in Berlin möglich. Das nach der deutsch-deutschen Wiedervereinigung eingetretene Ost-West-Ungleichgewicht an Studienmöglichkeiten konnte in den 1990er-Jahren allenfalls in kleinem Umfang ausgeglichen werden. Außerhalb Berlins gelang nur in Thüringen die volluniversitäre Etablierung.
Volkskundliche Kulturwissenschaft versteht sich als weltläufige Disziplin, sucht aber forschend immer auch die Verankerung in der Region, in der sie betrieben wird. Die Herausforderungen an die Jenaer Volkskunde ergaben und ergeben sich aus der historischen und kulturellen Vielgestaltigkeit Thüringens. Hier gab es – wie überall in Europa und im deutschsprachigen Raum – spätestens seit der Aufklärung und der Romantik volkskundliche Sammel-Aktivitäten. Johann Gottfried Herder sensibilisierte die Aufmerksamkeit für die „Kultur des Volkes“ und die Romantik stimulierte Leidenschaften, Volkslieder, Märchen oder Sagen sowie Wissen um „Land und Leute“, um Kultur und Lebensweise zu sammeln.
Spätestens mit der Institutionalisierung des Faches in Verbänden und Organisationen um 1900 und später vor allem im Nationalsozialismus wurden die Grenzen zwischen Ideologie und Wissenschaft durchlässig. Arbeiten wie Martin Wählers „Thüringische Volkskunde“ (1940) geben Zeugnis, wie tief die Verwicklungen zwischen der nationalsozialistischen Unrechtsherrschaft und der Selbstmobilisierung von Wissenschaften für politische Intentionen waren. Dies mag auch ein Grund dafür sein, dass die Volkskunde nach 1945 zu denjenigen Fächern zählte, die sich schon früh intensiv und kritisch ihrer Geschichte im Nationalsozialismus widmeten.
Heute ist die Universitätsvolkskunde in Jena verankert im Netzwerk der thüringischen Kulturarbeit und der regionalen Museumslandschaft und eingebunden in die Aktivitäten außeruniversitärer volkskundlicher Institutionen. Sie widmet ihre Aufmerksamkeit in Forschung und Lehre dem kulturellen Erbe der Region sowie den Transformationsprozessen der Gegenwart – den Lebenslagen in ländlichen Räumen, den Folgen der De-Industrialisierung, der Kulturgeschichte der Natur und Fragen der Umweltanthropologie, Beheimatung und Migration.
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